Pfarreigeschichte

Merkwürdiges zur Gemeinde-Pfarreigeschichte von Sarnen

Zusammengestellt von Urs Wallimann, Sarnen.

Ab 1. August 2022 bilden die drei Pfarreien Sarnen, Schwendi und Kägiswil einen gemeinsamen Seelsorgeraum. Mit einer Sternwanderung am Samstag, 11. Juni, sowie einer Einsetzungsfeier am Sonntag, 12. Juni, wurde die Errichtung des Seelsorgeraums feierlich konstituiert. Was anfangs der 1970-er Jahre aufgeteilt wurde, wird wieder enger zusammengeschweisst.

Ausdruck einer vielgestaltigen Pfarrei- und Gemeindeentwicklung

Sowohl die Entstehung des ersten Gotteshauses wie die Ursprünge von Pfarrei und Gemeinde Sarnen reichen weit ins Mittelalter zurück. Die Siedlungsentwicklung im Mittelalter ist geprägt durch die friedliche alemannische Landnahme (bezeugt von Flurnamen wie: Kirchhofen, Bitzighofen, Husen, Kägiswil, Wilen) sowie die Ausbildung von Grundherrschaften und die Christianisierung.  Im 11. Jh. trieben die Grafen von Lenzburg die Erschliessung des Landes «inter silvas» voran.

Die Mutterkirche des Landes Obwalden in markanter Lage ob dem Sarnersee entstand vermutlich im 8. Jahrhundert. Um 825 schenkte der adlige Grundherr «Recho» seine Güter in «Sarnono» dem Stift St. Leodegar im Hof Luzern, dessen Abt er später wurde. Ein Viertel der Kirchenrechte gelangten später in den Besitz des Klosters Murbach-Luzern, drei Viertel überliess 1036 Graf Ulrich I. von Lenzburg dem Hausstift St. Michael in Beromünster. Deshalb stellte nach einer 1213 getroffenen Regelung Beromünster den Leutpriester und Luzern den Helfer.

Ab dem 12. Jh. beginnen ansässige «freie» Bauern zusammen mit den durch Meier/Kellner und Bannwarte verwalteten grundherrlichen Höfen  Allmenden, Wälder und Alpen gemeinsam zu bewirtschaften und nutzen. Um gemeinsame Anliegen zu verhandeln und zu regeln, versammeln sie sich nach dem sonntäglichen «Kilchgang». Aus diesen Zusammenkünften formen sich «Kilchgenossengemeinden». Sie übernehmen nach der an Unterwalden gewährten Reichsunmittelbarkeit (1308 Freibrief von König Heinrich VII. mit niederer Gerichtsbarkeit /1415 Freibrief König Sigismund mit Blutbann) gemeinschaftliche Aufgaben zusammen mit der Kirche, zum Beispiel die Betreuung der armen Leute.

Um das Jahr 1348 entstehen innerhalb der Kilchgenossengemeinde in Sarnen sieben Teilsamen (Nutzungsgenossenschaften): Schwändi, Diekenschwand, Ruckischwil, Forst, Ramersberg, Kägiswil und Freiteil. Um 1435 wurden Diegischwand, Ruggiswil und Forst zur Schwendi geschlagen, seither sind es noch vier «Dörfer»: Schwendi, Ramersberg, Kägiswil und Freiteil (Dorfkern). Ihre nutzungsberechtigten Mitglieder (haushäbliche Familien/Geschlechter sind dieTeiler (Korporationsbürger). Im 15. Jh. gehen die Patronatsrechte der Kirchen an die Eidgenossen über, das heisst im Stande Obwalden unmittelbar an die Kilchgenossengemeinden.

Im 16. bis 19. Jh. übernehmen die Kilchgenossengemeinden weitere öffentliche Aufgaben: Neben Armenfürsorge auch Kirchen- und Pfrundverwaltung, Polizeifunktionen, Vormundschaften, Schule sowie die Ausbildung einer Verwaltungsorganisation (Wahlen von Gememeinderäten/Siebnergericht, Mitgliedern von Landrat und Fünfzehnergericht, von Pfarrer, Sigrist, Organist und Schullehrern).

Im 16. Jhd. bestimmt das Konzil von Trient (1545-1563), dass es kein pfarrloses Kirchenvolk mehr geben dürfe. Jeder Gläubige muss einer (Territorial-) Pfarrei zugeordnet sein. Die Pfarrer werden zur Residenz in ihrer Pfarrei und zur Führung von Kirchenbüchern (Taufbücher, Ehebücher, das sind wichtige Geschichtsquellen) verpflichtet. Die Pfarrei sollte in ihrer Grösse überschaubar sein, damit der Pfarrer die ihm anvertrauten Gläubigen persönlich kannte.

Katholische Gläubige sind also gleichzeitig Glieder einer kanonisch errichteten Pfarrei und einer öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchgemeinde, die für die Verwaltung des Ortskirchenvermögens und auch für die Wahl des Pfarrers in Abstimmung mit dem Bischof zuständig ist. Nach dem «Codex Iuris Canonici» bewahrt die Pfarrei trotz gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Veränderungen ihre Bedeutung als «Kirche am Ort», als Sozialisationsraum des Glaubens bis heute.

Erhebung bisheriger Kuratskaplaneien zu selbstständigen Pfarreien im Kanton 1971

Am 14. September 1968 bei der Einweihung der neu erstellten Kirche kündigte der damalige Kägiswiler Kaplan Johann von Rotz an: «Das nächste Ziel sei die Errichtung der selbständigen Pfarrei Kägiswil». Nach seiner Aufzeichnung in der Pfarreichronik «verursachte dies bei den Behörden und Leuten in Sarnen und auch beim Sarner Pfarrer Alois Marty ein mitleidiges Kopfschütteln, so etwas Unerhörtes». Trotzdem führte er 1969 am Schluss des Gottesdienstes eine «schriftliche Volksbefragung» durch. Zwei Drittel der Befragten waren dafür, ein Drittel dagegen, was an das dafür an sich empfängliche Bistum gemeldet wurde, welches aber eine Stellungnahme des Pfarrers und der Kirchgemeinde von Sarnen erwartete, wo man erneut negativ reagierte. Kaplan von Rotz «verkroch sich in Resignation», nicht aber einige Konfratres im Priesterkapitel, allen voran der damalige Kuratskaplan vom Grossteil, Adolf von Atzigen. Dieser regte an, die Frage von neuen Pfarreien, nämlich: Melchtal, Flüeli, Grossteil, Schwendi und Kägiswil bei der bevorstehenden Bildungswoche des Priesterkapitels  im Februar 1970 in Chur zur Sprache zu bringen. Dabei sei die Frage neuer Pfarreien positiv angekommen. Sie wurde konkret im Gespräch des Kapitelspräses Kuratskaplan Adolf von Atzigen mit dem damaligen Generalvikar Karl Scheuber. Das Priesterkapitel beschloss in der Folge eine Eingabe an Bischof Johannes Vonderach, «dass er anlässlich seiner Firmreise im Mai 1971 die genannten Kuratskaplaneien zu Pfarreien erhebe.»

Im öffentlichen Willkommensgruss zur dritten Firmreise von Bischof Johannes Vonderach freute sich Adolf von Atzigen, nun Dekan: «Eine besondere Bedeutung wird diese Firmreise für die Schwendi, für Kägiswil, Grossteil und Melchtal erhalten. Unser Bischof wird diese bisherigen Kuratskaplaneien zu Pfarreien erheben. Der Bischof will damit zum Ausdruck bringen, dass alle diese Ortskirchen, in denen die Sakramente gespendet werden, echte Kirchen sind, wirkliche Zellen des Reiches Gottes, in denen sich religiöses Leben entfalten und entwickeln soll. So möchten wir diesen neuen Pfarreien den Wunsch mitgeben, wie er im Schlussgebet der Kirchweihe anklingt: Gott, Du erbaust aus lebendigen Steinen Deiner Majestät eine ewige Wohnung. Nun Hilf, dass dieses Volk durch geistiges Wachstum bereichert, die Kraft und den inneren Reichtum deiner Kirche erfahre und lebe.» (Obwaldner Volksfreund vom 18. Mai 1971).

Am Firmtag des jeweiligen Ortes im Mai 1971 wurden in der Tat die amtierenden Kuratskapläne zu Pfarrherren ernannt, mit Ausnahme von Flüeli, da sich der Sachsler Pfarrer dagegen aussprach.

Im Nachgang lud der Einwohnergemeinderat Sarnen, damals auch als katholischer Kirchgemeinderat zuständig, die Seelsorger von Sarnen zu einem gemeinsamen Nachtessen ein. Er beglückwünschte Pfarrer Alois Marty zum 65. Geburtstag und zeigte sich befriedigt, «dass er voll Rüstigkeit weiterhin der Pfarrei Sarnen vorstehen könne.» Den neuen Pfarrherren Josef Gisler, Schwendi, und Johann von Rotz, Kägiswil, wünschte er ein segensreiches Wirken. Die gleiche Würdigung wiederholte Gemeindepräsident Max Scherrer zu Beginn der nachfolgenden Einwohnergemeindeversammlung (Obwaldner Volksfreund vom 8. und 15. Juni 1971). 

Von der Gemeindevielfalt zur Einheitsgemeinde – von der Pfarrei zum Seelsorgeraum

In der Helvetik (1798-1803) wird die vorbestandene Alleinzuständigkeit der Kilchgenossengemeinde vorübergehend unterbrochen. In der Mediation 1803 und mit der ersten Kantonsverfassung 1814/16 werden die alten Kilchgenossengemeinden wieder hergestellt, allerdings ohne Stimm- und Wahlrecht der Bei- und Hintersässen.

Erst die Kantonsverfassung von 1867 bzw. 1902 überträgt der Einwohnergemeinde aller Niedergelassenen neu auch die Zuständigkeit für Kirchen-, Pfrund- und Schulwesen mit entsprechenden Wahlbefugnissen. Die Bürgergemeinde (als Nachfolgerin der Kilchgenossengemeinde) umfasst nun alle ortsansässigen Schweizerbürger mit Anteil am Bürgergut (Armenbürger) einerseits sowie die nutzungsberechtigten Teiler (Korporationsbürger) andererseits. Zudem wird in der Kantonsverfassung von 1902 die Möglichkeit zur Aufteilung des Gemeindegebietes in Bezirksgemeinden für besondere Aufgaben, wie Bau und Infrastruktur, sanktioniert. Sarnen bildete entsprechend der Teilsamen vier Bezirksgemeinden: Dorfschaft, Schwendi, Ramersberg und Kägiswil.

In der noch heute massgebenden Kantonsverfassung von 1968 wurde das Staatskirchenrecht modern – als Dualismus zwischen Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, zwischen Pfarrei und Kirchgemeinde ausgestaltet: «Für die katholische Kirchenorganisation ist das katholische Kirchenrecht massgebend. Die kirchliche Oberleitung der Konfessionen wird anerkannt, die Kirchenämter sind öffentliche Ämter, und das Steuerbezugsrecht der Kirchgemeinden ist gewährleistet. Die öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen ordnen ihre Angelegenheiten selbstständig». Die Kantonsverfassung ermöglicht auch die Schaffung selbstständiger Kirchgemeinden. Sarnen führt diese 1974 und sogleich mit Frauenstimmrecht ein, ab 1980 auch mit Ausländerstimmrecht. Auch die Einverleibung der Bürgergemeinde (nach dem Heimatprinzip zuständig für die Armenbürger und die Einbürgerung) in die Einwohnergemeinde wird nun möglich. Sarnen vollzieht diesen Übergang als zweitletzte Gemeinde im Kanton nach vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen über das «Armenvermögen» erst 2011. Mit der bundesrechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau wird auch der Übergang von der Geschlechterkorporation (verliehen über das männliche Geschlecht) zur Abstammungskorporation (verliehen auch über von Bürgern abstammende Frauen an Ehegatten und Kinder) in den vier Korporationen Schwendi, Ramersberg, Kägiswil und Freiteil vollzogen. Die vier Korporationen sind heute noch im Chilchgang Sarnen (entsprechend der ursprünglichen Pfarrei) zusammengeschlossen. Sie besitzen beispielsweise zusammen das «Haus des Waldes» beim Kapuzinerkloster.

Um die Jahrtausendwende 2000 existierten in Sarnen auf Gemeindestufe elf Behörden (Einwohnergemeinderat, vier Bezirksgemeinderäte, Bürgergemeinderat, röm.-kath. Kirchgemeinderat, evang.-reform. Kirchgemeinderat, vier Korporationsräte) mit insgesamt 75 Ratsmitgliedern, eine schier unübersichtliche Vielfalt. So ist es nicht verwunderlich, dass die weltliche Gemeindevielfalt damals in Sarnen auch die Aufspaltung in drei Pfarreien begünstigte. Die Inkorporation der Bürgergemeinde sowie die Rückführung der Bezirksgemeinden in die Einwohnergemeinde (2004) lösten eine Gegenbewegung aus. Die Zusammenfassung der Pfarreien in einen Seelsorgeraum folgt dieser Bewegung, vereint in der Kirchgemeinde.

Die Pfarrei stellt bis heute den zentralen Raum für das christliche und gemeindliche Leben des Volkes Gottes dar. Im neueren Kirchenrecht besteht kein Pfarrzwang mehr, so dass Gläubige heute freier über den Ort von Taufe, Eheschliessung und Beerdigung entscheiden können. Die höhere Mobilität ermöglicht zudem das gezielte Aufsuchen besonderer Angebote anderer Pfarreien.

Der nun errichtete gemeinsame Seelsorgeraum innerhalb der Kirchgemeinde Sarnen, ohne dass die drei Pfarreien juristisch und vermögensrechtlich zu einer Pfarrei fusionieren, ist ein bedeutender Schritt, welcher auch der sich verringernden Zahl von Priestern und praktizierenden Gläubigen Rechnung trägt.

 

Quellen:

Garovi, Angelo: Obwaldner Geschichte, Staatsarchiv des Kantons Obwalden, Sarnen 2000

Zemp, Ivo: Die Pfarrkirche St. Peter und Paul in Sarnen, Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 2006

Dillier-Amstutz, Hans: Entstehung und Organisation der Gemeindebehörden von Sarnen, Sarnen 1997

Von Rotz, Johann: Pfarreichronik von Kägiswil, Auszug vom 31. Mai 1971

Obwaldner Volksfreund, Mai und Juni 1971, Online: https://dokumente.staatsarchiv.ow.ch/s-08-01/s-08-01-1971.html

Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Online: https://hls-dhs-dss.ch/de

Verfassung des Kanton Obwaldens Obwalden, Online:  https://gdb.ow.ch/frontend/versions/1315

20.06.2022/wa